Einige kulturpolitische Anmerkungen zur Förderung der zeitgenössischen Musik in Sachsen-Anhalt
von Prof. Thomas Buchholz, Präsident der Ständigen Konferenz Zeitgenössische Musik in Mitteldeutschland und Vorsitzender des Landesverbandes Sachsen-Anhalt Deutscher Komponisten e.V.
Die allgemeine Tatsache, dass besonders der mitteldeutsche Raum in Sachen
Musik eine vergleichsweise umfangreiche musikalische Tradition besitzt,
sollte die Frage nach der innovativen Weiterführung nach sich ziehen.
Die dabei ersichtlichen Ergebnisse nehmen sich äußerst bescheiden
aus, wobei besonders auffällt, dass der Berufsstand des Komponisten
(in der Bundesrepublik anerkanntes Diplom-Studienfach) sozial äußerst
gefährdet ist. Nicht ein Komponist des Bundeslandes wäre in der
Lage, von den Einkünften aus seiner kompositorischen Arbeit seinen
Lebensunterhalt zu bestreiten. Die Konsequenz aus diesem Umstand könnte
in der Folge der nächsten Jahre dazu führen, dass es dieses Berufsbild
de facto nicht mehr geben wird. Es ist zu bezweifeln, dass diese mögliche
kulturelle Entwicklung dem Sinn einer erfolgreichen Landeskulturpolitik
entspricht. Die Bestandsaufnahme hat gezeigt, wo die Ursachen liegen. Im
Gegensatz zu den anderen produktiven Künsten hat die Musik das Vermittlungsproblem,
weil die vom Komponisten erstellte Partitur noch nicht die Musik ist. Die
Veröffentlichung bedarf des reproduzierenden Künstlers. Diese
besondere Situation zeigt aber, dass immer weniger Musiker und Ensembles
bereit sind, musikalisches Neuland zu betreten und zusätzliches Engagement
bei Aufgaben zu erbringen, die sich vom Gewohnten entfernen. Die Geschichte
der Künste lehrt uns auch, wie schwer es sein kann, Neues für
ein breiteres Publikum zu erschließen. Dennoch gibt es sicherlich
keine einigermaßen vernünftige Rechtfertigung für das ständige
Ausweichen vor dem Problem. Es ist auch wage zu behaupten, dass das Neue
die Menschen aus dem Konzertsaal triebe. Die wesentliche Aufgabe kann nur
sein, genau das zu verhindern. Die Kreation von Inseln Neuer Musik für
ein ausgewähltes Publikum ist eine Notwendigkeit, die gerade im Rahmen
des Schutzes von Minderheiten gerechtfertigt werden kann. Sie ist aber
nicht der Weg zur Öffnung und damit zur Herstellung einer größeren
Akzeptanz beim Publikum. Anstelle der fortwährenden Sezession muß
es integrative Ansätze geben, die klarstellen, dass Neue Musik nicht
losgelöst von Tradition stattfindet sondern vielmehr Bestandteil von
Tradition zu werden trachtet und sich somit aus ihr heraus definiert. In
vielen gesellschaftlichen Bereichen gehört moderne Kunst mittlerweile
zum Lebensumfeld. Das beweisen nicht nur staatliche Institutionen
sondern auch private Unternehmen. Nur die Musik ist dabei etwas weniger
im Blickfeld. Das zu ändern bedarf es einer gemeinsamen Anstrengung
von Künstlern und Politikern. Die Zukunft des Musiklandes Sachsen-Anhalt
wird sich daran messen lassen müssen, wie wir es heute verstehen,
neue Traditionen aus alten Wurzeln zu schaffen.
Um den benannten unglücklichen Umständen möglichst schnell
Abhilfe zu schaffen, möchte ich folgende Vorschläge einbringen:
1. Die Schaffung einer Projektstelle für zeitgenössische
Musik aller Genres mit mindestens 2 Vollzeitstellen. Die Aufgaben diese
Projektstelle definieren sich am Bedarf wie folgt:
· Erfassung aller Daten von Komponistinnen und Komponisten und
ihrer Werke der letzten 50 Jahre
· Koordinierung von Veranstaltungen mit zeitgenössischer
Musik aller Genres und Unterstützung bei Werbemaßnahmen und
Sponsorengewinnung
· Kontaktstelle für Komponisten, Interpreten und Veranstalter
· Bindeglied zwischen Landesregierung, Interpreten und Komponisten,
Beratung in allen Fragen der zeitgenössischen Musik
· Durchführung von Informationsveranstaltungen zum Musikschaffen
in Sachen-Anhalt, event. Erstellung und Herausgabe von Informationsmaterial
· Erstellung und Pflege einer öffentlichen Datenbank zur
zeitgenössischen Musik in Sachen-Anhalt
· koordinierende Mitwirkung bei der Schaffung eines besseren
Auftragswesens für Komponistinnen und Komponisten in Sachen-Anhalt
· Zusammenarbeit mit Verbänden, die ein besonderes Interesse
an der Förderung zeitgenössischer Musik haben sowie mit Urheberrechtsgesellschaften
· wiss. Erfassung und Studien zum zeitgenössischen Schaffen
in Sachsen-Anhalt
· Koordinierung von Weiterbildungsveranstaltungen für Kulturpolitiker,
Musiklehrer und Musikschullehrer
· Durchführung von Förderveranstaltungen für
den kompositorischen und interpretatorischen Nachwuchs
2. Die Durchführung einer öffentlichen Aussprache (Konferenz)
zwischen den leitenden Direktoren (GMD, MD, KMD ...) der Ensembles und
Institutionen, die in Landesförderung stehen, Kulturpolitikern und
Komponisten (vertreten durch ihre jeweiligen Verbände und Organisationen),
um Verständigung für eine gemeinsame Arbeit herzustellen.
3. Die Integration von Werken lebender Komponistinnen und Komponisten
als Pflichtstücke in Landes und Regionalwettbewerbe. Dazu bedarf es
Gespräche mit den verantwortlichen Organisatoren.
4. Einbindung von Aufführungen der Werke lebender Komponistinnen
und Komponisten aus Sachen Anhalt bei Veranstaltungen von Landesinteresse
und/oder Landesbeteiligung. Dazu gehört auch die Vergabe von Auftragswerken
zu besonderen Anlässen. Eventuell müssen dafür auch private
Sponsoren gefunden werden.
5. Schaffung eines Webportal für Hompages, die das zeitgenössische
Musikschaffen repräsentieren.
6. Grundlegender Neuansatz für die staatliche Förderung des
zeitgenössischen Musikschaffens. Dazu gehört insbesondere die
Vermeidung von Unterstützungen, die nicht unmittelbar zu Ergebnissen
führen. Es wäre günstig, die Komponisten-Einzelförderung
nur noch im Rahmen von Gesamtaufgaben durch eine o.g. Projektstelle zu
realisieren, bzw. an konkrete Kompositionsaufträge zu binden, die
nach zu erarbeitenden Richtlinien von Landesinteresse sind.
7. Überprüfung der kommunalen Kulturetats auf die Möglichkeit
der zweckgerichteten Förderung lebender Komponistinnen und Komponisten.
Es kann und darf nicht sein, dass die Kommunen sich so wie in der Vergangenheit
aus der kulturellen Verantwortung nehmen, wenn es um die Förderung
zeitgenössischer Musik geht. Das betrifft auch die Frage der Kontrolle
kommunaler Einrichtungen, zu deren Aufgaben auch die Förderung zeitgenössischer
Musik aus dem Einzugsgebiet geht.
8. Konkrete Gespräche mit dem Landesmusikrat über die dort
zu planenden Fördermaßnahmen zeitgenössischer Musik aus
Sachsen-Anhalt. Trotz immer wieder protokollierter Engagements für
das zeitgenössische Schaffen sind die Gesamtresultate unzureichend.
Einmal, weil sich die vorgezeigte Förderung nur an wenigen Beispielen
auf maximal eine Hand voll Komponisten beschränkt ist und zum anderen
keine effektive Planung vorliegt, die eine breitere Förderung von
hier lebenden Komponisten in Aussicht stellt. Hinzu kommt, dass die durch
den Landesmusikrat initiierten Ensembles (Jugendjazzorchester, Judendsinfonieorchester
und Landesjugendchor) kaum mit den Werken hier lebender Komponistinnen
und Komponisten vertraut gemacht werden. Bei Konzerten außerhalb
des Bundeslandes ist dann auch die Dokumentationen des kompositorischen
Schaffens aus Sachsen-Anhalt entsprechend gering, meistens aber überhaupt
nicht vorhanden. Hier muß also dringend Abhilfe geschaffen werden.
Einmal ist es möglich über Ausschreibungen Werkeinreichungen
zu erhalten, aus denen dann eine Auswahl getroffen wird, die sowohl in
technischer als auch in künstlerischer Hinsicht realisierbar ist.
9. Die ähnliche Problematik ergibt sich bei der Durchsicht der
Programme öffentlicher Orchester und Musiktheater. Es wäre eine
gesonderte Studie wert, einmal zu erfassen, wie viele Werke zeitgenössischer
Komponistinnen und Komponisten aus Sachsen-Anhalt in den Programmen dieser
Ensembles pro Jahr angezeigt sind. Ich verweise hier auf Punkt 2.
10. Die Erstellung einer Reihe von etwa 3 CDs mit einem repräsentativen
Querschnitt von Werken lebender Komponistinnen und Komponisten aus Sachsen-Anhalt
, musiziert von Künstlern aus Sachsen-Anhalt wäre eine Notwendigkeit
für die überregionale Dokumentation, die andere Bundesländer
(Brandenburg, Thüringen) bereits vorlegten. Der Vorstoß des
Landesverbandes Sachsen-Anhalt Deutscher Komponisten e.V. mit einem Projektantrag
an das Regierungspräsidium Halle für eine CD ist leider abgelehnt
worden. Hier sollte auf Landesebene auf die Notwendigkeit solcher Dokumentationen
hingewiesen werden. Musik dokumentiert sich ausschließlich über
akustische Medien!
11. Wirtschaftliche Förderung mittelständiger Unternehmen
sollte auch Firmen zukommen, die zeitgenössische Musik aus Sachen-Anhalt
publizieren. Das gilt insbesondere für CD-Labels und Notenverlage.
12. Es muß darüber nachgedacht werden, ob durch die Bündelung
von Veranstaltungen zeitgenössischer Musik die Kosten für die
GEMA über Pauschalverträge geringer gehalten können. Für
solche Dinge wäre die o.g. Projektstelle verantwortlich.
13. Förderung und Unterstützung mit Landesmitteln für
Festivals wie die Hallischen Musiktage und das Tonkünstlerfest in
Magdeburg müssen langfristig gesichert werden. Künstler- und
Konzertverträge lassen sich nicht kurzfristig schließen, wenn
man erreichen will, dass besondere Wünsche der Veranstalter (beispielsweise
die Uraufführung eines Werkes aus Sachsen-Anhalt) berücksichtigt
werden sollen. Sogenannte Vorzugsermächtigungen sind ein gutes Mittel
für eine längerfristige und damit effektivere Planung.
14. Die Aufgaben des Musikunterrichts in allen Schulformen des Landes
sollten dahingehend überprüft werden, ob und in welcher Form
den Schülerinnen und Schülern auch das Schaffen lebender Komponisten
aus Sachsen-Anhalt nahegebracht wird. Über den normalen Unterricht
hinaus wären sogenannte Projekttage zur Kunst aus Sachsen-Anhalt ein
geeignetes Mittel, dem allgemeinen Unwissen entgegenzuwirken. Dazu können
Schriftsteller, bildende Künstler und Komponisten eingeladen werden,
die mit den Schülern über ihre Arbeit sprechen. Eine Schülerumfrage
nach zeitgenössischen Künstlern aus Ihrer Region würde sicherlich
beschämende Ergebnisse liefern. Auch Fortbildungsveranstaltungen für
Lehrer gehören zu diesem Punkt.
Wenn die musikalische Kunst in Sachsen-Anhalt eine Zukunft haben soll,
ist dringender Handlungsbedarf geboten. Noch zu keiner Zeit war die Lebenssituation
der Musik derart zur existentiellen Frage geworden - für die Musik
selbst wie auch für die schöpferischen Musiker. Nur mit gemeinsamen
Kräften lassen sich Räume öffnen und Wege finden. Der größte
Feind der Kunst ist der Gleichmut. Das Schweigen der hier dazu verdammten
Komponistinnen und Komponisten sollte allen an der Entwicklung unseres
Landes Interessierten ein Signal zum Handeln sein. Eine Zukunft ohne Komponisten
möchte ich mir nicht vorstellen.
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