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Werkeinführung

Thomas Buchholz: Kammersinfonie VI  " Todesfuge"

Die Sensibilität des Schmerzes

Die gesellschaftliche Situation, in der sich meine Generation gegen Ende eines Jahrhunderts mit zwei Weltkriegen, Holokaust und Atombomben befindet, ist nach wie vor von unterschiedlichsten Bedrohungen menschenmöglicher Sensibilität und einer gefährlichen Art von Oberflächlichkeit im Umgang mit humanitären Werten geprägt. Somit ist die Problematik des deutschen Holokaust ein halbes Jahrhundert nach der Wannseekonferenz immer noch von erschütternder Aktualität - und hier und  heute nicht Ergebnis von materieller Armut des Volkes.
Ignoranz und mangelnde Achtung vor der Persönlichkeit jedes einzelnen Menschen findet mitten in einem der reichsten Länder der Erde statt. Sie führen zu Ausgrenzung und Vereinzelung. Hilflos wirken die Signale obdachloser Kinder, vereinsamter alter Menschen und dem Heer derer, die hoffnungslos jede Chance auf ein durch Arbeit erfülltes Leben verloren haben. Und das tägliche Gerede in Politik und Wirtschaft von verbessernden Veränderungen ist wie nicht gesagt im Angesicht des täglich Erlebten. Wenn Menschenverachtung eine wesentliche Grundlage faschistischer Ideologie und Politik war, wie weit darf Ursachenforschung dann gehen, wenn es um die Gegenwart geht? Die Signale des Schmerzes der Betroffenen sind nur selten durch die Lautheit des Schreiens gezeichnet. Wie viele leise Zeichen enthält das Bild der Gegenwart?
Aus wie viel Verstummen gebiert sich Veränderung ? Wer ist noch so fühlend, das Nichtgesagte zu erahnen? Da sind Zeichen in der Luft, ganz hoch oben, die haben den Himmel geschwärzt. Aber ihre Schreie sind nicht mehr. Die Gegenwart des Todes ist nun die tote Gegenwart. Und wenn wir die Saiten streichen, dann singen wohlmöglich die Engel den Schmerz.
Es tut gut, wenn man noch Angst hat, denn Angst bedeutet Fühlenkönnen. Die Gegenwart des Todes ist die tote Gegenwart und der Tod ist ein Meister aus Deutschland.
Ich habe Angst. Über ein halbes Jahrhundert danach.

Thomas Buchholz





© 2006 Thomas Buchholz - Komponist

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