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Werkeinführung

Apotheosis für gemischten Chor a cappella

Meine Begegnung mit der Musik Wagners fällt in die Schulzeit in Eisenach, wo am dortigen Landestheater die Aufführungen der Oper Tannhäuser ganz in der Tradition dieser Stadt mit der Wartburg und der in der Reuter-Villa untergebrachten Wagner-Sammlung stand. Als Student erlebte ich dann die Leipziger Inszenierungen der Ring-Opern und des Parsifal. Und auch als Gesangsstudent mit etwas Stimmvolumen kommt man um die eine oder andere Wagnerszene „unter Ausschluss der Öffentlichkeit“ nicht herum. Das Studium einiger Partituren ergänzt jedes Studium der Instrumentation. Kurz gesagt, ich bin, ohne es vielleicht zu wollen, mit Wagners Musik aufgewachsen, sie hat mich fast unbemerkt begleitet. Im Gegensatz zur Komponistengeneration meiner Lehrer, denen Wagners Musik immer etwas Suspektes anhaftete, wahrscheinlich stark befruchtet durch deren Lehrergeneration, für die Wagner aus eigenem Erleben wohl auch eine „Apokalypse der Macht“ anhaftete. Der Neuorientierung nach der großgermanischen Heldentümelei war die Klangwelt und auch die Sujets Wagnerscher Bühnenwerke fremd, man steuerte bewusst dagegen. Selbst meine Mutter, die bei Pozniak Klavier studiert hatte und so weniger direkt mit Wagners Musik umging, bezeichnete den „Tristan“ als „Schmachtfetzen“. Demgegenüber beobachte ich gerade in meiner Generation eine gewisse Zurückhaltung gegenüber Pauschalurteilen, teilweise Äußerungen von Respekt vor der gewaltigen Lebensleistung und auch ein bisschen Bereitschaft zum Nachdenken über Wagners Musik. Nach der Wende ließ auch die vom Westen auf den Osten übergegangene Vereinsmeierei nicht lange auf die Wagner-Vereine warten. Ihren Mitgliedern winkten und winken die heiß begehrten wie teuren Eintrittskarten für den Grünen Hügel in Bayreuth - romantischer Klang-Samt auf harter Holzbank.

Wagner (geboren in Leipzig, Jugendzeit in Dresden), einer der zahlreichen Musikgiganten, die der mitteldeutsche Landstrich hervorbrachte, ist noch heute sicherlich einer der umstrittensten Komponisten. Wer sich also schöpferisch auf Wagner einlässt, der muss sich nach dem Warum öffentlich befragen lassen und nach dem Wie eine eigene Antwort finden. Dass diese Auseinandersetzung Berechtigung hat, das ist das erklärte Phänomen jener sächsischen Künstlerinnen und Künstler der unterschiedlichsten Sparten, die sich in Leipzig und Dresden trafen, um gemeinsam in sogenannten Projekten ihre künstlerischen Positionen zu beziehen.

Das mit Leitmotiven durchzogene Werk Wagners gibt mir wenig Raum, reale Zitate zu verarbeiten. Außerdem war Wagner nicht unbedingt ein Chorkomponist, wenn man einmal von den wenigen Chören in den Opern absieht. Aber Wagner war natürlich jemand, der für die Stimme komponierte, und so lag es nahe, mit einer Besetzung zu reagieren, die kaum im Wagnerschen Œuvre vorkommt. Gereizt haben mich Wagners Bezeichnungen Waldweben und Feuerzauber, die aus den Opern Siegfried und Walküre stammen. Und so komponierte ich in freier Assoziation zwei Chorsätze, die sich insgesamt wie ein zweisätziges Konzert für Chor ausmachen. Der Titel Apotheosis bedeutet so viel wie Verherrlichung oder Verklärung.

 

I. Wald-Weben: besonders das Wort „weben“ klingt wie ein Gewebe von Tönen in einer erdachten Assoziation an die Lebendigkeit des Waldes, in dem alle Geräusche und Klänge miteinander verwobenen zu sein scheinen. Mein ersten musikalischer Gedanke ist ein Tongewebe aus diesem Baustein:

Eine Motivkette aus Achtel und punktierter Viertel, jeweils durch eine Achtelpause getrennt, das Ganze in ein ruhiges Vierviertel-Metrum gebracht. Die Stimmen sind gegeneinander phasenverschoben. Um die Lesbarkeit im komplexen Satz der gegeneinander verschobenen Stimmen zu gewährleisten, ist eine metrisch orientierte Notation angebracht:

Ein Mittelteil bringt neues Material, dass aus einem Baustein des alten Materials gewonnen wurde und nun solistisch in den verschiedenen Stimmer erklingt:

 

Der dritte Teil ist der Krebs der ersten Teils als Gerüst, dem weitere Ebenen hinzugefügt werden, die wiederum durch diverse kompositorische Verfahren aus dem Kernmotiv und seinen Schichtungen gewonnen wurden.

 

II. Feuer-Zauber: Feuer bezaubert, verzaubert, es wirkt irreal, er ist nicht die kleine Flamme, es ist das Feuer mit wogender Kraft. Alles gebiert sich aus dem kleinen Keim, indem eine Melodie durch Imitation in Kleinterz-Transpositionen zu einer Welle aufschaukelt und verebbt. Im linken Notenbild sind die realen Transpostionen zu erkennen. Der besseren Lesbarkeit wegen ist die im rechten Notenbild dargestellte Notation gewählt worden.

         

 

 

Diese „Klang-Welle“ wird durch ihre Retrograde beantwortet, allerdings wiederum um eine Kleinterz so versetzt, dass die Endtöne der oben abgebildeten Figur mit den Anfangstönen ihrer Retrograde übereinstimmen. Diese Wechselspiel von Frauen- und Männerstimmen, immer um das Intervall der kleinen Terz versetzt bildet nicht nur den Anfang des Satzes, er bestimmt das ganze Stück. Hier nun ein Beispiel der Retrograde in den Frauenstimmen an späterer Postion der Partitur und mit vereinfachten Versetzungszeichen. Aus dieser rhythmische Faktur ist nun das Feuergewebe eines folgenden Abschnitts gebaut, das im rechten Notenbeispiel als Ausschnitt zu sehen ist und sich über alle Stimmen verteilt.

 

            

 

In einem dritten Abschnitt wird sozusagen als neue Ebene aus dem Wechsel von Achtel und Sechzehntel eine pulsierende Schicht eingeflochten. Sie Beginnt in dentiefen Männerstimmen und durchläuft hernach alle anderen Stimmen:

 

 

Die Kombination dieser drei Ebenen bildet die Tektonik des weiteren Verlaufs. Die miteinander korrespondierenden Ebenen sind als deutliche Schichten in einem eher massiven Klangbild herauszuhören. Ob des Feuer des Klanges infernal sich zeigt, wird eine Frage der Interpretation bleiben.

 

 

 

 

Thomas Buchholz

 

 

 





© 2006 Thomas Buchholz - Komponist

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